Die Bronzeplastik

Am Anfang steht das vom Künstler geschaffene Modell. Es kann aus verschiedenen Materialien bestehen, die nach praktischen und künstlerischen Gesichtspunkten für das geplante Modell ausgewählt worden sind. So werden je nach gewünschter Oberflächenstruktur Kleinplastiken meistens aus Wachs, Gips oder ähnlichem Material geformt. Größere Plastiken werden oft mit einem festen Skelett und einem „lnnenleben“ aus Füllstoffen wie Lehm, Papier, Styropor oder Holzwolle versehen. Für die Oberfläche des Modells werden dann die eingangs genannten Baustoffe verwendet.Ursprünglich wurde die Oberfläche der Skulptur als etwa 5 Millimeter starke Wachsschicht aufgebracht, mit Lehm umkleidet und ausgeschmolzen. Das Modell war damit verloren, ein weiterer Abguß hiervon nicht mehr möglich. Man nennt diese Technik Guß Ã  cire perdue, zu deutsch: Guß mit verlorener Form.

Damit die Gießerei aus der von den Händen des Künstlers geschaffenen Skulptur mehrere Bronzegüsse fertigen kann, ist es erforderlich, zuvor eine Form herzustellen. Das ist die Arbeit des Kunstformers, der viel Geschick und Fingerspitzengefühl haben muß, da von der sauberen Ausführung das Gelingen des Gusses zum guten Teil abhängig ist.

Der Former umgibt zunächst das vom Künstler gelieferte Modell mit einer mehrere Millimeter dicken Schicht aus Ton. Diese Tonschicht wiederum wird mit einem starken Gipsmantel umhüllt. Ist das Modell kompliziert aufgebaut, muß der Former es unter Umständen mit viel Behutsamkeit zertrennen, um mehrere Teilformen herstellen zu können. Tonmantel und Gipsmantel sind so angelegt, daß sie auseinandergeklappt das Modell oder Modellteil freigeben. Es wird entnommen und nach Entfernung der (inneren) Tonschicht, die ihre Aufgabe damit erfüllt hat, wieder in den um das Volumen der Tonschicht vergrößerten Hohlraum im Innern des Gipsmantels eingebracht.

Erst jetzt kommt der Former zur Herstellung der eigentlichen Form. Ursprünglich kannte man nur die Leimform, die auch heute noch aus Kostengründen für Großplastiken und Einzelstücke verwendet wird. Vor allem für Kleinplastiken wird heute aber fast ausschließlich der hierfür besonders geeignete Silikon-Kautschuk verwendet.

Das flüssige Material wird nach Einrühren eines Härters durch ein Loch im Gipsmantel in den Zwischenraum zwischen Modell und Gipsform gegossen. Durch die zähflüssige Konsistenz, mit der sich die Masse der Modelloberfläche auch in der leichtesten Struktur anschmiegt, ermöglicht die Silikonform nach Erstarrung eine im wahrsten Sinne des Wortes haargenaue Wiedergabe der Modelloberfläche.

Nach der Erstarrung wird die Silikonform vom Modell gelöst und innen mit flüssigem Wachs ausgetupft. Diese erste Wachsschicht muß sehr sorgfältig an der Innenwand der Negativform angebracht werden, weil nach ihr später die sichtbare Oberfläche der Bronzeplastik gebildet wird. Ein sofortiges Eingießen von heißem Wachs würde unvermeidbar Luftblasen an der Innenwand der Form und damit Löcher in der späteren Bronzeoberfläche hervorrufen. Erst wenn die Negativform innen durch Tupfen ausreichend beschichtet ist, können die Formteile zusammengefügt und kann weiteres flüssiges Wachs eingefüllt werden. Doch wird die Form nicht ganz mit Wachs ausgegossen, sondern es wird nur soviel Wachs in der Form belassen, wie nötig ist, an der Innenwand einen Niederschlag von etwa drei bis fünf Millimeter Starke zu bilden.

In die Wachsnachbildung der Oberfläche des Modells wird nun flüssiger Schamott eingefüllt, der nach Austrocknung einen festen Kern bildet. Dieser Kern hat zwei Aufgaben zu erfüllen; zunächst bewahrt er das Wachshohlmodell bis zum Guß vor Verformung, beim Gußvorgang selbst setzt er dem fließenden Metall die Grenzen.

Nun kann das Wachsmodell mit seinem Schamottkern aus der Gipsform genommen werden. Mußte das vom Künstler geschaffene Modell anfangs zur Herstellung mehrerer Formen zerteilt werden, so werden diese Teile nunmehr wieder zusammengefügt. Alle Abweichungen vom Originalmodell, die im Verlaufe der vorangegangenen Prozedur etwa entstanden sind, müssen nun beseitigt werden.

Danach werden die erforderlichen Gießhilfen an dem Wachsmodell angebracht. Es sind dies Stäbchen, die durch die Wachsschicht in den Kern gesteckt werden, um ihn nach Ausschmelzen des Wachses in seiner Lage festzuhalten, sowie Äste aus Wachs – sogenannte Pfeifen -, die später die Kanäle für das flüssige Metall und für die entweichende Luft bilden sollen. Falsch gesetzte Pfeifen sind eine der Hauptursachen für das Mißlingen eines Gusses, weil sie bewirken, daß die im Innern der Form befindliche Luft statt zu entweichen einen Stau bildet, der die flüssige Bronze am richtigen Ausbreiten und Ausfüllen der letzten Hohlräume hindert.

Dieses nun schon recht unförmig gewordene Wachsmodell – oft noch vom Künstler in den letzten Feinheiten nachgearbeitet – wird jetzt vorsichtig mit flüssigem Schamott betupft, wie wir dies schon von der Herstellung der ersten Wachsschicht kennen. Bei diesem Arbeitsgang in der inneren Schamottschicht auftretende Luftblasen wurden sich später als Warzen auf der Bronzeoberfläche zeigen.

Nach Aufbringen dieser ersten Feinschicht wird solange Schamottmörtel angeworfen, bis die Wachsform völlig unter dem Schamottaufbau verschwunden ist. Der letzte, grobe Schamottmantel wird nun zu einer regelmäßigen, glatten Form gestaltet, die mit Drahteinlagen verstärkt wird, um ein Reißen und Auseinanderfallen der Form beim Eingießen des heißen Metalls zu verhindern.

Die gut durchgetrocknete Schamottform wird im Ofen erhitzt, bis das Wachs in ihrem Innern ausschmilzt, verdampft und verbrennt. Der bisher vom Wachs ausgefüllte Raum ist nunmehr frei, und der Schamottkern, den man vorher mit Stäbchen gespickt hatte, hängt an diesen frei im äußeren Schamottmantel. Auch die am Wachsmodell angebrachten Wachsäste sind ausgeschmolzen und bilden die Einguß- und Luftöffnungen (Pfeifen) im Schamottmantel.

Von dem zuletzt geschilderten Prozeß der Gußvorbereitung hat das ganze Gußverfahren seinen Namen „Wachsausschmelzverfahren“ übernommen. Es ist verständlich, daß ein so zeitraubendes und arbeitsaufwendiges Verfahren eine Fließbandproduktion nicht gestattet. So kann auch der Preis einer nach diesem Verfahren entstandenen Skulptur nicht mit dem Preis von Stücken anderer Techniken verglichen werden, ebensowenig, wie Schönheit und Genauigkeit der Güsse mit anderen Verfahren erzielt werden können.

Erst jetzt kann der eigentliche Guß beginnen, kann die flüssige Bronze – in der Hauptsache meist aus neun Teilen Kupfer und einem Teil Zinn bestehend – in den Schamottmantel gegossen werden. Langsam muß das Gußstück dann auskühlen, ehe der so mühsam aufgebaute Schamottmantel zerschlagen und das Objekt freigelegt werden kann.

Es sieht zunächst noch recht borstig aus und läßt die Schönheit des vom Künstler geschaffenen Modells kaum erahnen. Nach Entfernung der Haltestäbe und des ganzen Netzes von Zügen und Pfeifen aus erstarrter Bronze, die das Kunstwerk umgeben, beseitigt der Ziseleur alle Spuren vorangegangener Arbeiten. Ansätze von Zügen, Pfeifen und Haltestäben, kleine Fehlstellen, Luftblasen und Warzen verschwinden unter den geschickten Händen dieses Spezialisten, der, selbst ein Künstler, sich immer wieder auf die typische Oberflächenstruktur jedes einzelnen Kunstwerkes einstellen muß.

Endlich erhält die Plastik nun noch ihre Patina, das heißt, die vom Künstler sorgfältig ausgewählte Oberflächenfärbung. Diese wird nicht etwa – wie dies bei billigen Güssen oft üblich ist – mit Farbe aufgetragen, sondern durch bestimmte, in ihrer Reaktion bekannte Chemikalien hervorgerufen, die je nach Art und Stärke des Auftragens durch Oxydation eine bestimmte Farbveränderung der Metalloberfläche bewirken. Dieser Vorgang entspricht im wesentlichen dem natürlichen Oxydationsprozeß, dem jede Metalloberfläche durch Umwelteinflüsse ausgesetzt ist. Wollte man die natürliche Farbe der gegossenen Bronze erhalten, müßte die Oberfläche nach gründlicher Reinigung mit einem Schutzlack versehen werden. Die Farbskala der Patina reicht vom Bronzeton über die verschiedensten Braun- und Grüntöne bis zum Schwarz. Die Methoden zu ihrer Erzielung sind so zahlreich und unterschiedlich wie die Farbtöne selbst und oft ein gut gehütetes Geheimnis. Die Nachbehandlung der aufgebrachten Patina zur Entfaltung von Licht- und Schattenwirkung an der Oberfläche der Skulptur vollendet der Künstler meist im eigenen Atelier.

Abschließend sollte vielleicht noch angemerkt werden, daß die Beteiligung des Künstlers an den hier geschilderten Arbeiten in Formerei und Gießerei je nach der Art des Kunstwerkes sehr unterschiedlich sein kann und muß. Nicht jeder Künstler kann sich nur für den Eigenbedarf eine allen Anforderungen gewachsene Gießerei leisten; nur wenige Künstler sind in der glücklichen Lage, in ihrer unmittelbaren Nähe eine Gießerei zu haben. Auch der Künstler muß heute, sofern er kreativ ist, mit seiner Zeit haushälterisch umgehen. So sollte der Kunstfreund bei der Betrachtung eines Kunstwerkes sich auch vor Augen führen, welche Etappen das Stück bis zu seiner Vollendung durchlaufen mußte, um seinen Wert richtig einschätzen zu können.

Von J. Gerhard Wiggen
Veröffentlicht in der Kulturwarte 12/76