1975 Universitätsklinik Mainz St. Rochus-Kirche

Die Künstlerin, Frau Margarete Wiggen aus Köditz bei Hof, erzählt aus ihrer Arbeit am Kreuzweg:

Als mir die Aufgabe gestellt wurde, für die Kirche der Universitätskliniken in Mainz eine Marienplastik und einen Kreuzweg zu arbeiten, war es mir klar, daß gerade in dieser Kirche der Mensch ganz besonderen Zuspruch braucht, auch wenn er es nicht wahrhaben will. Hier hat er Zeit, zwangsweise Zeit. Diese Kirche ist keine Autobahnkirche, in der die Menschen rasten, wenn sie ein präzises Ziel vor sich sehen, vielleicht sogar Urlaub mit Sonne, Bergen und Meer. Hier ist im letzten jeder für sich allein. Hoffnungslosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit bei Tag und in der Nacht sind bestimmend für viele Besucher. Gefühle und Ängste dieser Menschen erlebte ich besonders in der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Während des Krieges betreute ich u. a. als Operationsschwester die Verwundeten und Ausgebluteten, nach dem Kriege in der Sozialarbeit die Ausgehungerten, Vertriebenen, solche, die glaubten, sie hätten Herz und Seele verloren.
Diese Eindrücke werde ich nie vergessen. Darum muß dieser Kreuzweg den Bezug des Menschen zum Mitmenschen aufzeigen. Das Aufeinanderzugehen und das Sichabwenden. Menschliche Züge und seelenlose Köpfe sollen zu erkennen geben, wie die Menschen zueinander stehen. Aber manche Szene, wie die der Ergriffenheit der Frauen am Grab oder der erschrockenen Geste beim Anblick des leeren Grabes, sowie das Erstaunen und Abschiednehmen bei der Himmelfahrt, zeigt die Begegnung des Menschen mit Gott.
Meine Arbeit soll versöhnen und Heilung bringen. Sie soll den Verzweifelten helfen und den Geängstigten Zuversicht geben.

Kreuzwegstationen

1)      Zum Tode verurteilt

War Pilatus, der römische Statthalter ungerecht? War er feige? Sitzen nicht auch wir in unserem Wohlstandssessel und reiben uns die Hände? Ist es Angst, Bequemlichkeit oder Feigheit, die uns das Herz verschließen?
Der Herr ist ganz Würde! Seine Hände tragen Fesseln. Sehen wir dieses Bild nicht überall: Verurteilte, Gefesselte, Gerechte – Ungerechte, Bequeme, Feige?

2)      Man legt Jesus das Kreuz auf die Schultern

Wie schwer drückt diese Last des Holzes! Aber was ist diese gegen die Sündenlast der Menschheit. Wir sind es, die mit der Last unserer Schuld sein Kreuz so schwer machen.

3)      Unter der Last zusammengebrochen

Unaussprechlich traurig und einsam ist der Herr. Auf dem Straßenpflaster bricht er zusammen. Die Gaffer stehen dabei und sehen zu. Keiner hilft.
Erleben wir es nicht jeden Tag? Ein Armer, ein Einsamer, ein Alter. Wer hilft, wer tröstet, wer liebt, wer macht sich die Hände schmutzig mit dem Blut des Verletzten?

4)      Der Herr und seine Mutter

Sie ist bei ihm und er weiß, wie sie ihn liebt und wie groß ihre Qual ist. Alle Mütter dieser Welt, schaut sie euch an. Ihr, die ihr eure Kinder verblutend und sterben von den Straßen holt. Ihr, die ihr eure Söhne nicht mehr umarmen konntet, denn sie fielen auf den Schlachtfeldern oder verhungerten in den Lägern dieser Welt. Auch ihr, die ihr mit aller eurer Liebe einsam steht, weil eure Kinder euch verlassen haben, Schaut sie an, sie kennt euren Schmerz, sie tröstet.

5)      Einer hilft

Ein Mensch hilft dem Herrn. Die anderen wenden sich ab. Sie verschließen ihre Augen. Es ist zu unbequem, sie wollen nichts gesehen haben. Die Hände in den Hosentaschen warten sie ab. Vielleicht erbarmt sich ein Anderer.
Sind nicht auch wir oft hartherzig, rücksichtslos, schämen uns unseres Mitleids?

6)      Veronikas Liebesdienst

Das Gesicht des Herrn war kaum noch zu erkennen. Man spie es sogar an. Veronika half spontan und schlicht; mit dem was sie gerade zur Hand hatte.
Wann helfen wir so rasch, wenn einer uns braucht? Können wir noch richtig mitleiden, wenn es uns selbst gut geht?

7)      Jesus fällt zum zweiten Mal

Zerschunden und müde stützt der Herr wieder. Er hat kaum die Kraft – wieder aufzustehen. Es sind unsere Sünden, die sich am Kreuzesholz festkrallen und es niederdrücken. Das harte Pflaster, glühend von der heißen Sonne, nimmt ihn auf. Wenn er nur liegen bleiben könnte! Aber er hat eine Aufgabe – und er liebt uns.

8)      Die weinenden Frauen

Frauen und Kinder weinen. Sie haben Mitleid mit dem geschundenen Manne. Wie mag der Herr bei ihrem Anblick erschüttert sein, in seiner Not. Er kennt das Leid, das einst über sie kommen wird.

9)      Jesus fällt zum dritten Mal

So brutal und herzlos. Mit Fäusten gehen sie auf ihn los. Sie sehen, dass sein Kopf eingeklemmt ist zwischen Pflastersteinen und Kreuzbalken, aber sie schließen die Augen. Schließen wir sie nicht auch oft genug, wenn uns das Leid begegnet? Erkennen wir uns vielleicht wieder in diesen Gesichtern? Sie tragen ihr Gesicht wie eine Maske.

10)   Der Leib des Herrn wird entehrt

Schauen wir diese Gestalten doch an. Die Begierde in Blick und mit geilen Krallenhänden reißen sie ihm die Kleider vom Leibe.
Was ist noch Keuschheit, Zucht, Ehre und Menschenwürde? Wer schämt sich heute noch? Selbst die kleinen Kinder sind nicht sicher vor reißenden Wölfen in Schafspelzen.

11)   Man schlägt den Herrn ans Kreuz

Wie herzlos hat man ihn auf den Kreuzbalken gestoßen. Nun kniet man sich auf seine Arme. Er ist ganz wehrlos. Sind wir es nicht selbst, die sich fast darum reißen, dem Schergen den Nagel zu reichen? Mit diesem leeren Blick, dem blasierten Mund teilen wir Nägel der Bosheit aus. Wir merken oft nicht einmal, wie weh wir dem anderen Menschen damit tun.

12)   Der Herr hat uns erlöst

Der Herr ist heimgekehrt zum Vater. Sein Antlitz verrät Frieden und eine große Liebe zu uns. Sein Ziel ist erreicht. Wenn doch alle erkennen wollten, was er für uns getan hat.
Blind und verzweifelt ruft der Mensch um Hilfe. Oft meint er, Gott sei tot. Nicht alle finden aus der Dunkelheit den Weg zum Licht. Wir haben ihn getötet. Wir hoffen auf Gnade.

13)   Auf dem Schoß seiner Mutter

Der ermordete Sohn auf ihren Knien ist starr und leblos. Ihr Antlitz sagt Schönheit und Würde aus. Es ist nicht im Schmerz verzerrt, obwohl ihre Seele zerrissen ist. Sie weiß in diesem Augenblick, dass einmal alle Mütter dieser Welt sie anschauen, sie um Kraft bitten werden. Ihre ganze Gestalt ist gütiges Erbarmen. Sie hat uns den Tod ihres Kindes verziehen.

14)   Der Herr wird ins Grab gelegt

Man hat die Krone aus Dornen neben das Grab gelegt. Man hat ihn eingesalbt und in Tücher gewickelt. Diese Frauen durften sich am Grabe ausweinen.
Viele kennen heute die Gräber ihrer Liebsten nicht. Liegen sie in der Tiefe des Meeres? Wurden sie in einem der Läger verbrannt? Sind sie vielleicht vom Wüstensand zugedeckt worden?

15)   Der Herr ist auferstanden

Die erschrockenen Frauen am leeren Grab, der Jüngling im weißen Gewand sind ein tröstliches Bild für uns. Wenn wir es betrachten macht es uns froh. Wir leben nicht umsonst. Das Ende unseres Lebens ist nicht das Grab, sondern die ewige Herrlichkeit!

16)   Himmelfahrt

Das ist die Krönung und Vollendung seines göttlichen Lebens auf Erden. „Ihr Männer von Galiläa, was schaut ihr staunend auf zum Himmel?
In der figürlichen Darstellung dieser Gruppe sehen wir uns selbst. Voller Sehnsucht strecken wir die Arme aus. Wir wollen nicht allein gelassen werden. Aber wie tröstlich hören wir von Johannes 17:24 „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“